Interviews im Fernsehen
Mit der immer weiteren Entwicklung und Verbreitung des Fernsehens entstanden auch neue Formen des Dokumentarischen/Journalistischen. Gepflogenheiten aus Print und Radio schrieben sich fort und formten sich dem neuen Medium entsprechend, anfangs noch innovativ, jedoch bald eher in die einmal angenommenen Formen gedrängt. Viele einmal etablierte Sendeformate erstarrten schnell und die Programmverantwortlichen schöpften zu oft bloß aus den gewohnten Formen des vermeintlich Ge- und Erwünschten. Zunächst jedoch bildeten sich fernsehspezifische Interviewformen heraus.
In PANORAMA-Sendungen vom Anfang der sechziger Jahre finden sich zum Beispiel häufig außengerichtete Monologe (die allerdings durch ihre Kürze kaum als Monologe zu bezeichnen sind) und offene außengerichtete Dialoge. Menschen beantworten im Studio, im Wohnzimmer oder auf dem Campingplatz was sie über das Verhältnis von Deutschland zu England denken. Die verschiedenen Aussagen werden teils so geschnitten, dass eine scheinbar ausgewogene Pluralität an Meinungen suggeriert wird, teils als würden all die geäußerten Halbsätze einander unterstützen. Auf alle Fälle jedoch so, dass das Skript des Regisseurs erfüllt wird.(PANORAMA. 03.September 1961)In der Gesamtkonzeption der Beiträge geht es letztlich nicht darum eine Person sprechen zu lassen, sondern darum den dominanten Off-Kommentar zu unterstützen. Derlei Magazinbeiträge stehen in der Tradition des Documentary Films. Auch innengerichtete Dialoge in Form von politischen Diskussionsrunden werden gezeigt.(PANORAMA.24. September 1961) Allerdings sieht auch hier der Zuschauer sich einer – in diesem Falle mehreren – Experten gegenüber, die aus einer Überlegenen Position heraus agieren und reden.Ganz anders verhält es sich bei solcherlei Sendungen, bei denen tatsächlich die Person des Interviewten im Vordergrund steht und er nicht bloß als talking head herhalten muss.
Als Günter Gaus 1963 zum ZDF kam hatte er bereits gründliche Erfahrungen mit dem Interview gemacht; er war von 1959 bis 1961 Redakteur des Spiegels gewesen und hatte während seiner Zeit dort vier Spiegelgespräche geführt. Er begann angeleitet von Hans Herbert Westermann, dem Ressortleiter der Hauptabteilung für Politik und Zeitgeschehen, mit einem damals im deutschen Fernsehen völlig neuem Konzept. Es wurden ab 1963 in der monatlich ausgestrahlten Sendung ZUR PERSON – PORTRAITS IN FRAGE UND ANTWORT prominente Personen des Zeitgeschehens zu ihrer Biographie befragt. Hier fanden sich Persönlichkeiten wie Hannah Arendt, Theodor W. Adorno, Franz Joseph Strauß, Konrad Adenauer, Rudi Dutschke u.v.a. ein. Gauß stellte respektvolle Fragen, die es seinem jeweiligen Gegenüber ermöglichten dessen Standpunkte und die Biographie in denen sie fußten darzulegen.(Haller 2001:41ff) Die Sendungen dauerten circa eine Stunde und zu sehen waren bloß der Interviewte und Gauß selber. Es war gerade dieser radikale Purismus und die Möglichkeit ganze Aussagen an den Zuschauer zu senden, ohne verkürzen/herausschneiden zu müssen, welche die Sendung auszeichneten.(Vgl.Henneberg)
Um ein Sendeformat ähnlichen Anscheins, jedoch mit völlig konträrer Intention, handelte es sich bei dem 1966 Aufgenommenen Film DER LACHENDE MANN (Walter Heynowski, Gerhard Scheumann. DDR 1966). Hier sieht man über 66min. den Söldner Siegfried Müller, der freimütig über seine Tätigkeiten als Privatsöldner im Kongo berichtet. Über lange Strecken sieht man lediglich ihn in Naher und Halbnaher Einstellungsgröße. Seine Kommentare zur NATO, zu Menschenrechten und zur „geringen“ Gewalttätigkeit seines Einsatzes werden über Fotos von Gruppengräbern und Verstümmelten gelegt. Teils werden seine Aussagen gegengeschnitten mit Tonbandaufnahmen von ihm, die ein deutlich anderes Bild zeichnen und seine Aussagen mit seinen eigens zuvor gemachten Aussagen kontrakarieren. Die Fotos und das Tonbandmaterial hatte Scheumann vom Reporter Gerd Heidemann erworben, welcher ein Jahr zuvor eine Preisgekrönte Reportage für den Stern über die Söldnertruppe im Kongo geschrieben hatte. In dem ehemaligen Moderator des DDR-Polit-Magazins PRISMA Walter Heynowski sah Scheumann den idealen Gesprächspartner für Müller. Als Müller zu Besuch in München war, wurde ein Termin mit ihm ausgemacht auf den er gern einging. Die beiden Filmer gaben sich als Angehörige eines Westfernsehsenders aus, bezahlten ihm einen hohen Geldbetrag und nutzten seinen Alkoholismus aus. Während des Interviews trank Müller reichlich vom angerichteten Pernot und wurde darüber immer betrunkener, bis er zum Ende des Interviews gar ins Lallen geriet. Die Absicht der Regisseure war es die neokolonialen Interessen der BRD aufzuzeigen, hierfür war der redselige Müller das ideale Anschauungsobjekt, das sich mit rassistischen und unbedachten Äußerungen um Kopf und Kragen redete.(Lüscher) Von diesem Werk an arbeiteten Scheumann und Heynowski zusammen und schufen einige Filme ähnlicher Machart, oft über Altnazis, die in pikanten Positionen der Bundesrepublik saßen. Heynowski und Scheumann arbeiteten hierbei nicht selten unter Angabe falscher Identitäten. Dem sehr erfolgreichen und in der BRD gar verbotenen Film DER LACHENDE MANN folgte der Nachtrag PS ZUM LACHENDEN MANN (Walter Heynowski, Gerhard Scheumann. DDR 1966), der – auf Reaktionen zum ersten Film fußend – mit stark emotionalisierender Schnitttechnik und klarer politischer Stoßrichtung, alle Suggestivkräfte des klassischen Propagandafilms heranbemüht. Ab 1969 arbeiteten Scheumann und Haynowski als „Studio H&S“, unter dem Dach der DEFA weiter bis zum Verbot des Studios aufgrund kritischer Aussagen Scheumanns zur SED-Medienpolitik.(Hickethier:299f)
Vergleichen wir den LACHENDEN MANN mit ZUR PERSON, so fallen bei dem direkten Bildvergleich (abgesehen von den Zwischenschnitten in Ersterem) kaum Unterschiede auf. Die Kamera konzentriert sich auf den Interviewten und lässt ihn frei schwadronieren.
Selbstverständlich liegt beiden Sendeformaten eine völlig unterschiedliche Konzeption zugrunde. Scheumann und Haynowski geht es in ihrem Werk darum, einen Menschen gezielt bloßzustellen und an seinem Exempel das Versagen und die Latente Grausamkeit des Kapitalismus darzustellen, immer im Kontrast zum damals real existierenden Sozialismus gedacht, während bei Gauß Menschen im Gespräch die Zeit bekamen sich in ihrer je eigenen Tiefe redend zum Ausdruck zu bringen, dadurch dass sie anders als in ihrer gewohnten öffentlichen Position, als Personen erscheinen, die über ihre Biographie sich selbst und ihre Politischen Ansichten darlegten.